4. Januar 2024

Weg von den Kastagnetten und hin zum Dudelsack

Galicien, die grüne Unbekannte Spaniens

Spanien!

Dieses allzeit warme, bei deutschen Urlauber:innen sehr beliebte, immer laute, immer tanzende Land. Flamenco-Gitarren, Stierkämpfe, Paella und Palmen ohne Ende. Arabische Architektur, Sangria und Sonne satt. Ach Spanien, so kennen und lieben wir dich.

Aber Moment mal.

Grüne Wälder, eine stürmische See, Fabelwesen und in sich gekehrte Menschen. Kühle Sommer, Pilgerwanderungen und starker Kaffeelikör. Auch das ist Spanien. Und auch (oder gerade) so lieben wir dich. Denn du kannst so ganz anders sein, ganz weit weg von Touristenstrom und 40 Grad im Sommer. Dann heißt du nicht Málaga, Mallorca oder Barcelona. Dann heißt du Santiago de Compostela, Pontevedra und A Coruña.

Du bist Galicien, liegst ganz im Nordwesten dieses großen Landes und bist die faszinierende Unbekannte.

Vorweg erstmal eines: Hier in Galicien sind die Menschen stolz auf ihre Herkunft. Auf ihre Wälder, ihren Wein und ihre Landschaften. Und deswegen mögen sie es auch gar nicht mit Galizien verwechselt zu werden, einem Landstrich, der heute zu Polen und zur Ukraine gehört.
Hier, im hohen Norden Spaniens sind wir in Galicien, nicht in Galizien. Wir sprechen galicisch, nicht etwa galizisch. Und hier leben die Galicier und nicht – wer kann es erraten – die Galizier.

Galicien: Dudelsack und Gnome

Galicien ist keltisch geprägt, im 7. Jahrhundert vor Christus kamen die Kelten ins Land und bis heute spiegeln sie sich in Kultur und Traditionen wider. In der galicischen Volksmusik etwa kommen keine Kastagnetten zum Einsatz, sondern die galicische Gaita, ein Dudelsack, den man eher in Schottland und nicht in Spanien vermuten würde. Hier glaubt man an Gnome und Meigas – gute Hexen, die in Wäldern leben und Menschen heilen.

Hier ist es grün, alles blüht und in der Hauptstadt Santiago de Compostela regnet es im jährlichen Schnitt mehr als in Hamburg. Hier in Galicien haben wir übrigens mehr Küste als in Andalusien. Ganze 1.600 km. Und unsere Rías sind einzigartig. Die galicische Küstenlandschaft wird aufgeteilt in die Rías Altas und die Rías Baixas. Also in die hohen (=nördlichen) und die tiefen (=südlichen) Rías. Oft werden die Rías mit den norwegischen Fjorden verglichen und rein optisch passt das auch, das Meer drängt ins Landesinnere und bildet fjordähnliche Buchten. Allerdings weisen die galicischen Rías eine große Besonderheit auf: In ihnen vermischt sich das salzige Meerwasser mit süßem Flusswasser – eine wunderbare Lebensgrundlage für allerlei Muscheln und Meeresgetier ist die Folge.

Galicien hat ein besonderes Klima

Und trotz kilometerlangen Sandstränden, besten Meerestiergerichten und Meerwasser, wohin das Auge blickt, bleiben die Touristenströme aus. Und das hat vor allem einen Grund: die mangelnde Sonnengarantie.
Das raue, kühle Wetter spiegelt sich auch in den Galiciern selbst wider. Es ist fast so, als wäre der typische galicische Charakter dem typischen galicischen Wetter angepasst: Ein bis nach oben zugeknöpfter Regenmantel, inklusive Regenhut, der tief ins Gesicht gezogen ist. Keine Chance durch die Schicht aus regenfester Kleidung durchzublicken. Ein wenig melancholisch sind sie, die Galicier und ihnen wird nachgesagt, dass ihre morriña (»Heimweh«) sie immer wieder nach Galicien zurückzieht, egal, wo auf der Welt sie sich befinden.

Doch plötzlich wird der Himmel blau und die Sonne kommt heraus. Der Galicier hat Vertrauen gefasst. Regenhut und -mantel werden aufgeknöpft oder abgesetzt und auf einmal ist alles ganz einfach. Ein großer Holztisch wird mit Allem gedeckt, was Galicien zu bieten hat. Denn nicht umsonst befinden wir uns hier in einer der Gourmetregionen Spaniens. Bei weitem nicht so Schicki-Micki wie das Baskenland, aber dafür mindestens genauso gut. Traditionelle galicische Hausmannskost wird aufgedeckt: Meeresfrüchte ohne Ende, frisches, knackiges Gemüse und bester galicischer Wein.

Die Meeresfruchtvielfalt Galiciens ist bis über die spanischen Grenzen bekannt: Egal, ob Entenmuscheln (sie heißen zwar Muscheln, sehen aber eher aus, wie längliche, ledrige Finger) für die auch durchaus mal bis zu 150 €/kg ausgegeben werden, Jakobsmuscheln (die übrigens auch das Logo für den weltbekannten Jakobsweg, der in Santiago de Compostela endet, bilden), Krebse in allen Formen und Größen oder Pulpo – hier ist wirklich für jeden etwas dabei.

Apropos Pulpo. Immer wieder Pulpo. Pulpo a la gallega nennen die Spanier den gekochten Pulpo der mit Olivenöl, etwas grobem Salz und Paprikapulver verfeinert wird. Pulpo a feira nennen ihn die Galicier. Also quasi »Pulpo vom Fest«. Denn dann wurde Pulpo gegessen. Auf großen Dorffesten wurde Wasser in riesigen Töpfen über einem Feuer erhitzt und die Pulpos darin gekocht. Was heute eine Delikatesse und für galicische Preisverhältnisse ein durchaus hochpreisiges Gericht ist, war früher ganz normal Hausmannskost. Eben das, was dank des Meeres vor der Haustür einfach da war.

So übrigens auch die Entenmuscheln. Die sind heutzutage so teuer, weil ihr Einsammeln durchaus lebensgefährlich werden kann: Sie befinden sich an großen Felsen. Da, wo die Atlantikwellen kraftvoll auf das Festland treffen. Den percebeiros bleiben nur wenige Stunden zwischen Ebbe und Flut, um die köstlichen Delikatessen mit sich an Land und sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Galicien beheimatet berühmte Weinbaugebiete

Und dann der Wein. Galicien ist Weinregion. Und war es schon immer. Die Römer brachten den Wein hierher, die Mönche im Mittelalter führten die Tradition weiter, die Pilger des Jakobsweges tranken ihn dankbar in den verschiedenen Dörfern, in denen sie auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela haltmachten und heute befinden sich in unserem kleinen Galicien ganze fünf denominaciones de origen: Die Ribeira Sacra, Monterrei, Valdeorras, O Ribeiro und die Rías Baixas.

Am bekanntesten – und seit einigen Jahren in aller Munde in der feinen, gehobenen Weinwelt – sind die Rías Baixas mit ihrem knackig-frischen Albariño. Albariño ist die Weißweinsorte der Region, denn sie ist robust genug, um auch im feuchten galicischen Klima gegen verschiedenste Pilze und Krankheiten zu bestehen, schmackhaft genug, um beste, reinsortige Weine aus ihr keltern zu können und elegant genug, um auch die gehobene Weinschicht von sich überzeugen zu können.

Doch auch die Cuvées aus O Ribeiro, Rotweine aus der Ribeira Sacra und Mencía, Godello und Co aus Valdeorras und Monterrei sind nicht zu verachten. Galicien ist durch und durch Weißweinregion (mal abgesehen von der Ribeira Sacra, wo es mehr Rot- als Weißweine gibt). Mit ca. 30.000 ha Anbaufläche hat Galicien zwar flächenmäßig keinen großen Anteil an der spanischen Weinproduktion (ca. 900.000 ha Anbaufläche), ist aber im ganzen Land für seine bemerkenswerte Qualität bekannt.

Besucht man einen der vielen Winzer der Region, wird schnell klar, dass galicische Weine ganz oben auf allen Etepetete-Weinlisten dieser Welt mitspielen können, dass sie dort aber eigentlich gar nicht so richtig reinpassen. Der galicische Winzer ist bodenständig, vertraut auf Mutter Natur und sagt von sich selbst, dass er sowieso nur ein wenig beim Weinmachen nachhilft – den ganz großen Teil übernehmen Boden, Klima und Weinreben selbst.

In Galicien wird Wein aus Tassen getrunken

Dass die Galicier nicht viel auf Weingehabe geben, macht sich auch am Trinkgefäß bemerkbar. Hier trinkt man Wein aus Cunquiñas. Cunquiñas sind kleine Tassen ohne Henkel, aus denen traditionell der vino de la casa, also der Wein des Hauses getrunken wird. Das ist nicht selten eine schmackhafte Weißweincuvée aus O Ribeiro oder eine Rotweincuvée, die die Zähne dunkel färbt und die es für 4 – 7 € pro Flasche in jeder traditionellen Bar Galiciens gibt.

Natürlich gibt es auch das andere Galicien. Sternerestaurants mit Sterneköchen und Sternegerichten. Aber im typischen und authentischen Ur-Galicien findet man weiterhin die kleine Bar, die für 9 € von Montag bis Freitag ein köstliches Mittagsmenü zaubert. Ein caldo gallego als Vorspeise, etwas Fisch als Hauptgericht, die bereits erwähnte Flasche Hauswein, zum Schluss noch einen café con gotas, also einen Kaffee mit Tropfen (die Tropfen sind in diesem Falle alkoholhaltig) und zum Nachtisch filloas (ein Crepe-ähnlicher Nachtisch, der vor allem im Februar zur Karnevalszeit auf keinem galicischen Esstisch fehlt).

Achja, und ein kleines Gläschen licor. Denn da, wo richtig guter Wein gemacht wird, wird auch richtig guter Schnaps gemacht. Der licor café, also der Kaffeelikör, ist wohl der Bekannteste. Galicier:innen jenseits der 30 schwärmen von der Zeit, als es noch keine EU-Richtlinien in Galicien gab und jede Bar ihren eigenen starken Kaffeelikör verkauft hat. Kaum ein Gallego, der zu Studienzeiten nicht in die Bar seines Vertrauens gegangen ist, mit ein bis zwei leeren Weinflaschen in der Hand, die dann dezent mit Kaffeelikör aufgefüllt wurden und für wenige Taler den Besitzer wechselten. Diese Praxis ist zwar heute (fast) nicht mehr zu sehen, gute Kaffeeliköre (inzwischen allerdings mit Etikett an der Flasche) gibt es aber trotzdem weiterhin an jeder Ecke.

Gourmetparadies eben, ich sagte es ja schon.

Laras Tipps für einen Galicien Trip:

  • Hauswein aus Cunquiñas trinken.

  • »Un licor café« nach dem Essen bestellen, im besten Fall gibt es den dann auf´s Haus.

  • Beste Meeresfrüchte auf dem Mercado de la plaza de Lugo in A Coruña kaufen.

  • Die gewaltige Atlantiklandschaft auf einem Abschnitt des camiño dos faros (Weg der Leuchttürme) entdecken.

  • Immer Badehose, Regenmantel und Sonnenbrille dabei haben – man kann nie wissen, wann der Himmel aufreißt.

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Die wilde Atlantikküste Galiciens.
©Lara Martens

Die wilde Atlantikküste Galiciens.

Der Herkulesturm in A Coruña, ein antiker Leuchtturm aus dem 2. Jahrhundert.
©Lara Martens

Der Herkulesturm in A Coruña, ein antiker Leuchtturm aus dem 2. Jahrhundert.

Atlantikküste in Galicien.
©Nadine Helwig

Wasser so weit das Auge reicht.

Mann blickt auf Ria von Pontevedra.
©Sascha Brandenburg

Combarro, Ria von Pontevedra.

Entenmuscheln
©Bild von gabi janssen auf Pixabay

Entenmuscheln sind eine Spezialität in Galicien.

Pulpo bzw. Tintenfisch
©Pixabay

Pulpo bzw. Tintenfisch sind in Galicien allgegenwärtig.

Weinbergshütte im Ribeiro-Gebiet.
©Sascha Brandenburg

Hier lässt es sich gut ausruhen: Weinbergshütte im Ribeiro-Gebiet.

Alte Reben in den Rias Baixas
©Sascha Brandenburg

Alte Reben in typischer Pergolaerziehung in Cambados, Rias Baixas.

Eingang zu einem Weinberg in Ribadavia.
©Sascha Brandenburg

Eingang zu einem Weinberg in Ribadavia, der "Hauptstadt" des Ribeiro-Gebiets.

Weinberg im Nebel
©Lara Martens

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©Lara Martens

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